Opa Josef Wiesinger´s Lebensgeschichte

Josef Wiesinger, geb.8.12.1912, Haid 29, Königswiesen

 

Erinnerungen und Vormerkungen von Kriegserlebnissen.

 

Am 16.6.1916 ist meine Mutter beim 3.Kind an Kindbettfieber gestorben. Mein Vater Leopold war aktiver Soldat und mußte im Juli 1914 bei der Mobilmachung sofort einrücken. Nachdem er 1916 am linken Oberarm schwer verwundet wurde und in Amstetten im Lazarett war, sollte ihm dort der Oberarm wegen totaler Knochenzersplitterung amputiert werden. Er sagte aber: "Bitte warten." Dadurch bekam er zum Begräbnis der Mutter sofort Urlaub. Es waren nur eine Dienstmagd und ein Landarbeiter da, um das Vieh zu füttern. Das Dienstmädchen sagte:" Lassen wir doch die Mutter auf der Bahre liegen." Der Vater sagte zu ihr:" Wir müssen sie begraben lassen." Als unsere Mutter hinaus getragen wurde, haben meine Schwester und ich sehr geschrien, dadurch wurden die Begräbnisgäste sehr traurig.

Der Vater hatte die Amputation der Hand immer wieder verweigert. Es sind fast wöchentlich Splitter heraus gekommen, schließlich wurde doch beschlossen, die Hand nicht zu amputieren. Nach mehr als einem Jahr musste er noch immer nach Amstetten zur ambulanten Behandlung gehen. Nebenbei wurde er verpflichtet im Landesweidegut täglich die Rahmlieferung aufzuschreiben. Die übrige Zeit und nachts war er daheim. Sein Schwager Ed. Fichtinger hatte ihm sein Fahrrad geliehen, damit er vormittags täglich 8 km zur Molkerei zum Landesweidegut fahren konnte (diese Umstände werde ich nie vergessen). Im November 1918 war der Krieg aus und mein Vater konnte daheim bleiben. Ab 1.Mai 1919 besuchte ich die Volksschule. Der Vater verehelichte sich dann wieder und wir 3 Kinder bekamen dann bis 1937 noch 6 Geschwister. Von Mai 1925 bis Dezember 1926 brauchte ich nur donnerstags zur Schule gehen. Die Schulpflicht war somit erfüllt. Während der Donnerstagsschulpflicht und auch nachher hab ich in der elterlichen Landwirtschaft mitgearbeitet. Von 1930 bis 1939 arbeitete ich im Frühjahr und im Herbst jeweils 6 Wochen als Rübenarbeiter um auch etwas Geld zu bekommen.

Am 13.3.1938 war der Einmarsch der deutschen Truppen. Bundeskanzler Dr. Schuschnigg sagte am Vortag abends im Radio, er kann ein Blutvergießen nicht verantworten und wir weichen der Gewalt.

Zur Ja-Abstimmung wollten wir Burschen aus Haid nicht gehen, der Ortsvertreter von Haid sagte uns aber, wir sollten zur Abstimmung gehen, sonst müßten wir gleich einrücken.

Die Stimmzettelabgabe war öffentlich auf dem Wirtshaustisch, ich habe nur so getan, als hätte ich etwas angekreuzt und habe den Stimmzettel gleich in die Urne gegeben. Ein SA-Mann hat meine Hand abgefangen, ich mußte den Bleistift in die Hand nehmen und er hat mit seiner Hand das Ja-Zeichen angekreuzt. Die Gedanken, die ich dabei hatte, will ich nicht nennen.

Ein Sohn vom Nachbarn (Jahrgang 1916 war schon beim österr. Heer dienstverpflichtet) bekam gleich die Aufforderung nach Köln zu fahren und dort eine Umschulung auf deutsches Kommando zu machen. Er und ein Kamerad aus der Steiermark haben sich dort immer bald schlafen gelegt und dabei vom englischen Rundfunk deutsche Nachrichten gehört. Dabei wurden alle Feldzüge (Tschechei, Polen, Frankreich) vorausgesagt.

Als er heimkam und uns alles erzählte, waren wir Burschen schon fast bis auf den Boden zerstört. Die alten Männer von Haid sagten uns: „Tut euch nichts an, je höher die das treiben, desto kürzer ist ihre Zeit."

Leider hat der Spuk 7 Jahre gedauert und dabei gab es 56 Millionen Tote, weiters eine große Menge Verwundete und Krüppel.

Vom 1. Weltkrieg waren noch eine Menge Kriegsbeschädigte und Kriegerswitwen da, die vom Staat nur eine minimale Rente bekamen.

In den Jahren 1921 und 1922 gab es eine totale Geldentwertung und Notzeiten. Manche konnten sich nicht einmal das Notwendigste kaufen. Geldmangel gab es bei Allen. In den Jahren 1925 bis nach 1930 wurden von Ungarn und Polen so viele Schweine nach Österreich geliefert, daß die hiesigen Bauern sehr schwer etwas verkaufen konnten, da war es auch für den Bauernstand schwer, ewas zu erwirtschaften und der Holzverkauf war ebenfalls fast unmöglich. Unweit der Stierhofer-Brücke hat sich Herr Prandstätter ein Sägewerk aufgestellt. Mein Vater hat dort erfahren, (1928) daß jetzt ein Festmeter Holz S 20,-- kostet. Wir sind gleich in unseren Wald gegangen und haben ein paar Bäume gefällt, mit unserem Ochsenfuhrwerk gleich zum Sägewerk gebracht und mit dem Erlös gleich einen Sack (70 kg) Weizenmehl und einen 10 kg Zuckerhut gekauft und mit heimgenommen. Das hatten wir schon lange nicht (weißes Gebäck und gezuckerten Kaffee.) Ich ging dann fleißig als Taglöhner und kaufte mir anschließend um 220,-- S ein Fahrrad. Es gab nur ein paar Gewerbetreibende die ein Motorrad hatten, und bei den Bauern nicht sehr viele Fahrradfahrer. Wenn Bauersleute krank wurden, konnten sie sich keinen Arzt leisten, die waren teuer und Krankenkasse gab es nur für Dienstnehmer. Eine Bauernmagd bekam im Jahr ca. S 40,-- und ein Knecht S 50,-- oder etwas darüber. Der Taglöhnerlohn betrug pro Tag 2 bis 3 Schilling, je nach Schwerarbeit. Später ging es dann bald aufwärts. Wenn jemand mehr verdienen wollte, mußte er zusehen, daß er in Eisenerz eine Arbeit bekommt. Vom Staat oder den Gemeinden kamen keine Aufträge weil das Geld fehlte. Allgemein hat es geheißen, die Juden sitzen am Geld und der Staat hat nichts.

 

1938 ging es gleich aufwärts, leider waren das alles Vorbereitungen für den Krieg. Wir, die Jahrgänge 1912 bis 1914 mußten gleich zur Musterung und mußten Anfang 1940 einrücken. Ich war dann mit vielen Anderen im Februar, März 1940 schon im geteilten Polen Pialapotlaska und Warschau als Besatzer an der damaligen russ. Grenze. Im März 1940 war es dort noch sehr kalt, es gab Schneestürme. Die Besatzer an der Westfront mußten im Frühjahr 1940 den Frankreichfeldzug mitmachen, es gab dort schon eine Menge Tote und Verwundete. Wir wurden ca. im Juni 1940 von Polen nach Belgien (Lüttich) verlegt. Keiner wußte, was wohl kommen wird. Geflüstert wurde, daß als Ziel ein Angriff in England geplant sein soll. Später hörte man, daß schon ein Angriff von den Engländern ins Meer geschlagen wurde. Wir kamen dann wieder nach Köln und dann nach Osnabrück zurück. Daß inzwischen ein Angriff auf Rußland geplant wird, hat niemand erfahren. Wir wurden neu ausgerüstet und zur 126. Division zugeteilt. Schließlich kam im Juni die Sondermeldung: „Deutsche Truppen haben wegen Grenzzwistigkeiten die Ostgrenzen überschritten und sind auf dem Vormarsch." Gleich wurden wir in Waggons verladen, es ging nach Osten und bald waren wir an der vorgeschobenen Ostfront. Ja, anfangs gings flott vorwärts. 50 km gings oft täglich weiter bis jedoch wieder alles zum Stillstand kam. Bei Leningrad war der Widerstand so groß, daß es mit "Vorwärts" aus war. Die Ausfälle waren sehr groß. Wir mußten alle 2 bis 3 Wochen Ersatzmänner bekommen. Mindestens einmal im Monat wurden wir bei Leningrad eingekesselt, Fallschirmjäger mußten uns befreien. Dann der kalte Winter 1941/42, 56 Grad wurden gemessen. Wir haben unsere Stiefel mit Wolldeckenstreifen umwickelt und mit Bändern zusammengebunden damit uns die Füße nicht abgefroren sind, auch das Gesicht mußten wir mit Deckenflecken bis zu den Augen verbinden, denn wir mußten immer 2 Stunden zu zweit beim Maschinengewehr an der Front Wache stehen und abwechselnd 2 Stunden in ungeheizten Erdbunkern schlafen. Richtiges Schlafen gab es nicht, nach 2 Stunden mußten wir die Kameraden ablösen. Bei Beruhigung der kalten Stürme machten die Russen über den Wolchoffluß, der tief gefroren war, einen Angriff, nachts durch das Nordlicht hat man sie ja schon zeilenweise kommen gesehen. Durch unsere Maschinengewehre und dazu Packgeschosse war ein solcher hirnloser Angriff meist in 10 Minuten abgewehrt, alle Russen blieben auf dem eisigen Fluß liegen (tot). Einige Kameraden von uns holten sich von den toten Russen die Filzstiefel. Unsere Kameraden sagten, es kann´s kein Kazettler so schlecht haben wie wir bei der Infanterie. Weil wir so viele Verluste hatten, auch durch Erfrierungen, wurden wir nach 2 Wochen abgelöst, bekamen weiter hinten in einem Dorf 3 Ruhetage und dann bekamen wir die angeforderten Ersatzmänner und gleich gings wieder zu einem anderen Frontabschnitt. Bei dem Trubel wußten wir meist nicht einmal, welchen Wochentag wir hatten. „Nie wieder Krieg", war unser Leitspruch.

 

Anfang 1942 waren wir schon total verlaust. Bei wärmerem Wetter und ruhigerer Front suchten wir uns abwechselnd eine Sauna um wenigstens für einige Tage wieder entlaust zu sein. Wenn die Russen von einer Kriegsführung mehr Praxis gehabt hätten, wären wir Ende 1941 schon zurückgeschlagen worden. Einige wollten auch abhauen, aber wie? In russische Gefangenschaft wollte keiner. Im Sommer 1942 waren wir auch am Ilmensee länger stationiert an der Front. Meine wichtigste Pflicht sah ich an der guten Tarnung, um nur nicht gesehen zu werden. Die das nicht so wichtig nahmen, fielen tot um, wurden eben getroffen. Mein gleichgesinnter bester Kamerad Schreiber aus dem Schwabenland, den hab ich am MG-Stand tagsüber abgelöst. Er ging zum Erdbunker um etwas auszuruhen, wurde vom Feind gesehen, schon hat ein Packgeschütz auf ihn gezielt und den Bunker zerfetzt. So war er tot. So gings so oft. Im Oktober 1943 kam der Befehl, die, die lange keinen Urlaub hatten, dürfen für 3 Wochen heimfahren, da war ich auch dabei. Das war ein Aufatmen. Zum Heimfahren von der Front bei Leningrad brauchte ich ca. 48 Stunden (samt Entlausung). Totmüde schlief ich daheim, auf einmal hatte ich einen schweren Traum und spürte, der linke Fuß wurde mir zerrissen und wurde sofort klar munter, dachte mir dann „Gott sei Dank ist das nicht wahr." Ich hatte aber die ganze Urlaubszeit Ängste, da ist mir etwas vorgegangen. Mein Jugendfreund Jos. Mühlbachler war bis zum Einrücken beim Stierhofer. Gegenseitig haben wir uns die ganzen Kriegserlebnisse erzählt und er sagte mir: „Sepp, wir können uns nicht mehr sehen, bei uns im Mittelabschnitt gibt’s kein Davonkommen." (Er mußte nach seinem verbrauchten Urlaub wieder an die Front.) Beide glaubten wir, der Krieg kann noch fast ein Jahr dauern. Und noch haben wir zu kurz geraten. Also ein Deserteur hatte keine Chance.

Im November 1943 mußte auch ich wieder an die Front. Nach ca. 14 Tagen später bekam ich von daheim die Nachricht der Stierhoferknecht Josef ist gefallen.

 

Ich dachte zwar nicht mehr so an meinen Traum, aber dieser wurde noch vor Weihnachten 1943 wahr. Mit der sogenannten Stalinorgel, so nannten wir das russ. Geschütz mit 48 Schuß nacheinander, damit wurden auch die gelegten Minen entzündet und von vorn u. hinten kamen die Splitter wie Regen. Das hat unsere Front, einen längeren Abschnitt, ausradiert. In dem Trubel merkte ich es erst als ich zurückgehen wollte, daß ich gar nicht mehr gehen kann.

Mit den Händen bin ich bis zum Laufgraben zurückgekrochen und ein Feldwebel hat mich dann aufgehoben und zurückgetragen zum Sanitätsbunker und dort ein Gummiband genommen und den Oberschenkel abgebunden, sonst wäre ich an der Stelle verblutet. Obwohl ich dann gleich vom Sanitäter eine betäubende Spritze bekam, fingen wahnsinnige Schmerzen an. Wir (viele Verwundete) wurden auf einem Britschenwagen zurückgefahren zum Hauptverbandsplatz und dort wurde mir der linke Fuß abgenommen, wie er zerfetzt war und wegen Gasbrand schwarz wurde. Äther wurde als Betäubungsmittel verwendet, im Magen fühlte ich fast Feuer und trotz des Wundfiebers habe ich meine Hoffnungslosigkeit geahnt. Neben mir lag ein fußamputierter Ostpreuße, der hat in seinem Tornister eine Zigarette gesucht und angeraucht. Es hat keine Viertelstunde gedauert, das Nikotin hat den Blutklebstoff aufgelöst und in sämtlichen abgeklemmten Adern das Blut fließen lassen u. er war tot. Eine Hilfe hat nichts mehr genützt. Wir, die noch nicht Gestorbenen, sollten mit einem Sanitätsflugzeug nach Riga gebracht werden. Es wurde immer wieder verschoben mit dem Vermerk, daß wir nicht transportfähig sind, dabei haben uns die Läuse und Wanzen fast aufgefressen. Nach Wochen war es dann doch so weit und wir wurden nach Riga (Lettland) geflogen, dort entlaust (samt Wanzen) und fühlten uns dann doch wieder als Menschen. Dort kam auch täglich ein Arzt. Schließlich bekamen wir zum gehen Krücken und es wurde uns ein Kinogang angeboten. Ich kam bis zum Lazaretttor, fiel nieder und der Stumpf blutete. Sofort ging ich wieder zum Bett und der Verband wurde erneuert.

Ein paar Wochen später wurden wir zur Bahn gebracht und kamen in ein kleines Hilfslazarett nach Ostdeutschland. Dort lagen auch kranke Soldaten, einer hatte die ansteckende Gelbsucht. Die Kaffeehäferl wurden vom Personal einfach im Vorraum abgestellt und den nächsten Tag wieder verteilt (vermutlich ohne zu waschen). In ein paar Tagen nachher habe ich diese ansteckende Gelbsucht auch gehabt. Im Urin ging Blut weg. Der Arzt stellte eine totale Leberschwellung fest. Bis zur Besserung vergingen viele Wochen. Das Personal war sehr wenig u. ich wurde ersucht, tägl. einige Stunden Telefondienst zu machen. Infolge meiner Lage habe ich abgesagt und verlangte eine Genehmigung mit der ich nach Linz ins Heimatlazarett fahren darf. Das wurde genehmigt und mir wurde ein Begleiter mitgeschickt, damit ich dort sicher ankäme.

In Linz wurde ich aufgenommen und es wurde neuerlich festgestellt, daß mein Stumpf, wo der Knochen bei 6 cm ohne Fleisch war, nachamputiert werden mußte, da ansonsten eine Heilung nicht möglich ist u. nie eine Prothese getragen werden könnte. Neben mir war der Nesterer Franzl aus Ebenedt, bei dem dasselbe an beiden Füßen war. Wir kamen beide an einem Junitag 1944 dran, ich als Zweiter. Die kleine Betäubung hat bei mir kaum gewirkt und ich konnte bei den Operationen (die Tür war einen Spalt offen) zusehen.

Die Operationen sind gut verlaufen, obwohls damals Pfuscher waren, sonst hätte man nicht so starke Fantomschmerzen bei jedem Wetterwechsel.

In Linz lernte ich den Professor Moser kennen, der war als Sanitäter dienstverpflichtet, der mir dann sagte, er würde für uns vormittags Schulunterricht halten, wenn sich mehrere melden. Und gleich haben wir begonnen. Der sagte uns auch, wir sollten zusehen, daß wir bald in einer Kanzlei eine Arbeit bekommen, denn nach dem Krieg wird kaum eine Stelle zu haben sein. Er hat uns für Steno, Deutsch u. Rechnen allgemeine Bücher u. Unterlagen gegeben und uns viel gelehrt. Vor Jahresschluß konnten wir dann beim Landrat in Linz eine Prüfung machen und das Zeugnis fiel gut aus.

Maschinschreiben mit 10-Fingersystem haben wir bei Gatt in Linz gemacht. Ende Nov. 44 bekam ich die Fußprothese und konnte vor Weihnachten heimfahren. Eine Arbeitsstelle habe ich beim damaligen Bürgermeister Kelischek in der Gemeinde bekommen. Der war sehr froh, daß jemand gekommen ist, der seine volle Schreibtischlade bearbeitet. Er hatte einen Schreibkrampf und konnte fast nichts mehr selbst tun.

30 Jahre war ich hier tätig. Die notwendigen Prüfungen habe ich bis Ende 1949 gemacht. Eine Tochter vom Fellhofer fragte mich, wie lange es noch dauert zum Endsieg, ich sagte nur: „Wir leben doch nicht am Mond, hört doch die Nachrichten, ich glaube gar nichts mehr." Dann meinte sie: „Was wird’s mit dem Geld werden?" Dazu konnte ich nur sagen: „Das können wir bald aufs WC tragen für hinterlistige Zwecke." Viel lieber hätte ich gesagt, das wir Soldaten im Juni 1941 schon sagten, als Hitler auch gegen Rußland zu kämpfen befahl, der Krieg nun endgültig verloren ist.

Im Jänner 1945 habe ich den Tischlermeister Jos. Wastler gebeten, er möge mir ein Bett machen, bald sagt mir Herr Wastler, ich kann es schon holen. Mit einem kleinen Schlitten habe ichs geholt und er sagte mir: „Paß a´weng auf, was dir träumt im neuen Bett, denn das wird gern wahr." Ich nahm das nicht so ernst, habe aber dann doch aufgepaßt. Tatsächlich hat mir geträumt, daß die Russen mit viel Kriegsgerät von Haid herunterkamen, so deutlich sah ich das im Traum, daß ich mir alles merkte. Ich war anfangs Mai 1945 daheim im Elternhaus u. da habe ich dasselbe wie im Traum gesehen. Der Frau Otila (Bäuerin am Stierhofergut) habe ich das erzählt und diese sagte mir ihr Erlebnis. Ihr Bruder Jos.Mühlbachler ist im Nov. 43 gefallen. Im Hause haben die Fenster geklirrt, Verdunklungen fielen einige herunter, Türen sprangen auf u. sie dachte: wird doch nicht ihr Bruder Josef Mühlb. gefallen sein u. schrieb das Datum mit Uhrzeit 9 h abends auf. Nach ein paar Wochen kam die Nachricht daß ihr Bruder an diesem Datum um 9 h abends bei schweren Kämpfen für Volk u. Führer gefallen ist. Sonderbar, der Genannte sagte mir anfangs Oktober 43 daß wir uns nicht mehr sehen könnten. Seither glaube ich an Vorahnungen. In einem amerik. Buch wird ähnliches behauptet.

1999 behauptete ein Kommandoführer, der Krieg in Jugoslawien wäre gerechtfertigt. Wenn ein Bauernbub ohne Bildung sagen würde, es gibt keinen gerechtfertigten Krieg, dem würden viele zustimmen. Als ich im Nov. 1943 wieder zur Front bei Leningrad zurückfahren mußte, nach dem 3-wöchigen Heimaturlaub, mußten wir in Litauen von der Deutschen Bahn in die russische Breitspurbahn umsteigen. Unser Generaloberst mit Ritterkreuz und Eichenlaubauszeichnung (dafür daß er unser Regiment auf die gefährlichsten Frontstellen hingab) hat uns einzeln gefragt, wo er war und wie lange daheim, ich sagte ich bekam 3 Wochen Gebührenurlaub und bin nun zurück, so fragte er alle einzeln. Nicht weit von mir erzählte auch einer einiges, dann fragte er: „Wie lange sind sie Soldat?" Die Antwort war: „Seit 1938". Herr Oberst schrie gleich: „Ja, und da sind sie noch nicht tot!"

Im Waggon redeten wir viel über diesen Tyrann und wir wünschten uns, daß er bald einmal zur Front kommt damit wir ihn heimschicken können. Aber leider geht so einer nicht soweit nach vorne. Ich mußte von Juni 1941 bis gegen Ende 1943 immer als Infantrist Dienst machen, nur durch meine gute Tarnung um nicht gesehen zu werden, habe ich so lange durchgehalten. Im Sommer 1943 bekamen die Russen Gewehre mit Zielfernrohren. Wir mußten einen Angriff machen auf die Scharfschützen, die oberhalb im Wald auf Bäumen waren. In ca. einer halben Stunde sind bei unserer Kompanie mit rund 60 Mann nur 13 übrig geblieben, die Feldwebel und Unteroffiziere waren alle weg, dann schrie ein Obergefreiter Kamerad: „Bitte zurück, die meisten sind schon tot."

Ich bin bei einer Staudenreihe vor u. auch zurück. Dann wurden wir in 2 Tagen mit Ersatz aufgefüllt und kamen wieder zum Ladogasee, dort sollten wir am Seeufer bis Finnland vorstoßen, dabei kamen wir zu einer Ortschaft, wo die Zivilpersonen Bunker hatten, von uns hat einer eine Handgranate in den Bunker geworfen, das gab ein furchtbares Geschrei, die Wehrlosen taten mir sehr leid. Wegen der russischen Übermacht mußten wir abends wieder zurück. Vor mehreren Wochen machten die Russen über den total zugefrorenen See auf uns einen Großangriff, durch unsere schweren Geschütze, die sich vorher gezielt eingeschossen haben, wurde die Eisdecke zerschossen und die russischen Geschütze, Panzer u. LKW sind gleich versunken, ca. 30 Mann haben sich über die Eistrümmer gerettet und machten bei uns noch einen sehr wilden Angriff. Wir hatten Fallschirmjägerhilfe, die haben diese entwaffnet, ein Feldwebel bestimmte von uns 2 Mann, die den Auftrag bekamen, sie ein Stück weiter hinten in einem Graben aufstellen zu lassen und mit Maschinenpistolen umzulegen, wir machen keine Gefangenen.

Ich dachte mir Gott sei Dank, daß ich nicht dazu bestimmt wurde.

Die Russen haben gegen Ende 1943 angefangen, mit dem Geschütz Stalinorgel flächendeckend alles zu beschießen, auch Minen gingen dabei hoch, die Granatsplitter flogen auf uns wie Regen. Bei uns war ein ganzer Frontabschnitt ausradiert. Bei diesem Trommelfeuer hat es auch mich schwer erwischt. Für uns war der Krieg aus. Ein anderer Leidensweg fing an.

 

Nach Kriegsende 1945 arbeiteten alle beim Wiederaufbau fleißig mit, großteils auch die Schwerkriegsbeschädigten. Ja man hat durch die Arbeit viel weniger an das Leiden gedacht.

 

Hoffentlich bleibt bei uns die Neutralität weiter bestehen, denn sonst könnten unsere Nachkommen wieder einmal zum Mitkämpfen für eine Großmacht verpflichtet werden. Die Österreicher mußten durch die Kriegsführung der Nationalsozialisten schwer leiden, das soll ja nicht vergessen werden.

Kein Mensch hat aufgrund der geltenden Menschenrechte, (oder soll sich berechtigt fühlen), Männer zum Wehrdienst zu verpflichten, auch nicht sogenannte Freiwillige aufgrund hoher Belohnung in den Kriegsdienst zu schicken oder dafür zu werben. Österreich hat sich die Kriegsbeschädigten selbst versorgen müssen. Warum überhaupt? Freilich hat es 1938 in den Städten Heil-Schreier gegeben, auf dem Lande hat sich jeder gefürchtet. Eine Diktatur schreckt eben gegen nichts zurück. Krüppel möchte man heute gar nicht mehr sehen. Vor ein paar Jahren sagte einer zu mir: „Was, vom Krieg sind auch noch welche da?"

Vorsorge treffen, nachher hilft niemand!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    • Nachtrag:

 

Mitte der 20-er Jahre wurde ein freiwilliges Bundesheer aufgestellt. Allgemein wurde damals gesagt, wer nicht gern arbeiten will, meldete sich zum Bundesheer. 1929 hatten wir einen sehr kalten Winter mit minus 30 Grad und viel Schnee. 1934 wollten die Sozialdemokraten die Regierung stürzen. In allen größeren Städten wurde geschossen (die Schutzbündler gegen damalige Heimwehr), es gab auch Tote. Der damalige Bundeskanzler Dollfuß wurde angeblich von den Nazis erschossen. Dr. Schuschnigg wurde dann Bundeskanzler, viele illegale Nazis wurden bei Aufmärschen eingesperrt. Adolf Hitler hatte nach einem Sturz der Regierung in Berlin die Macht übernommen und wurde in Deutschland der Führer, vorher bekam er bei einer Wahl angeblich ca. 30 % der Stimmen. Nun hatten auch in Österreich die illegalen Nazianhänger von dort eine Stütze. 1935/36 wurde nach einem Beschluß der Regierung, für wehrfähige Männer die Einberufung zum Wehrdienst zur Pflicht gemacht. Der Jahrgang 1915 wurde dann 1936, und der Jahrgang 1916, 1937 einberufen. Am 13.3.1938 war der überfallsartige Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich. Hitler hat vorher unseren Bundeskanzler Schuschnigg nach Berchtesgarden (Sommersitz Hitler) geladen und dabei befohlen, daß in Österreich die illegalen Nazianhänger vom Gefängnis entlassen werden müssen und Herr Seisingquart mußte in die österr. Regierung aufgenommen werden.

Am 2.3.1938 sagte dann Dr. Schuschnigg im Radio, er kann ein Blutvergießen nicht verantworten und wir weichen der Gewalt. Das war für uns Wehrpflichtige eine furchtbare Aufregung.

In den Städten wurden von organisierten Schreiern die einmarschierenden Truppen empfangen, die Nichtbeteiligten waren verängstigt und haben getrauert. Auch in kleineren Märkten wurde eine SA Mannschaft aufgestellt, die abwechselnd Dienst hatten. Im Mai 1938 war dann die Volksabstimmung ohne Wahlzelle. Bald darauf wurde unser harter Schilling für 66 Pfenning umgetauscht. Damit konnte man viel weniger kaufen als mit unserem Schilling.

Im Sommer 1938 wurde dann die Königswiesener Bundesstraße verbreitert. Das war schon Vorarbeit für den Einmarsch in die Tschechei. Inzwischen wurden Wehrdienstpflichtige vom Jahrgang 1916 nach Köln zur Umschulung auf deutsches Kommando einberufen. Diese haben dann schon erschütternde Nachrichten mitheimgebracht, der Einmarsch in die Tschechei wurde vollzogen und das Land Polen haben sich im Herbst 1939 Adolf Hitler und Stalin (Rußland) ca. in der Mitte geteilt. Dort wurde von den Westmächten an Hitler der Krieg erklärt.

Beim Einmarsch in Polen sind schon 2 Königswieser gefallen. Die vielen unangenehmen Nachrichten dauerten bis Mai 1945 (Kriegsende). Österreich wurde in 4 Besatzungszonen eingeteilt, die Russen besetzten das Mühlviertel und Niederösterreich. Erst 1955 konnte ein Friedensabschluß durch L. Figl und Regierung erreicht werden.

Das Geld ist großteils verfallen und wir bekamen wieder den Schilling, dieser wurde aber auch 1947 neben der laufenden Inflation nochmals um 40 % abgewertet. Also beim Umtausch bekam man für 100 S nur 60,--. Die schleichende Inflation mit 3 bis 6 % jährlich ging weiter.

Mein Bruder Johann Wiesinger, Haid 29, (Jahrg. 1925) mußte auch mit 18 Jahren einrücken, er war zusammen mit einem Sohn vom Isidorsteiner bei einem Abwehrgeschütz eingeteilt. Der Letztgenannte wurde durch ein russ. Geschoß getötet. Johann kam später in russ. Gefangenschaft nach Sibirien zur Holzarbeit. Erst im Herbst 1947 durfte er heimfahren.

Die Heimkehrer und die Kriegsbeschädigten werden diese wahnsinnigen Strapazen nie vergessen.

 

Wir sollen alle wachsam sein, damit nie mehr ein radikaler Narr oder Psychopath irgendwo an die Macht kommt.